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Dr. Altrogge, Alexandra
Band 239: Umgang unter Zwang: Das Recht des Kindes auf Umgang mit dem umgangsunwilligen Elternteil
€ 58,00 | Titel ist nicht lieferbar
ISBN: 978-3-7694-1017-4
2007/09 | LXIV und 226 Seiten | Broschur
Die Arbeit verfolgt einen interdisziplinären Ansatz: Das Problem des Umgangs unter Zwang wird nicht nur aus juristischer Sicht betrachtet, sondern auch die Sichtweise anderer Disziplinen für eine umfassende Problembetrachtung herangezogen.
Die gesetzliche Vermutung, dass der Umgang mit beiden Elternteilen in der Regel zum Wohl des Kindes gehört, wird hinterfragt. Sind persönliche Beziehungen und Bindungen erzwingbar? Können Liebe und Verantwortungsübernahme gerichtlich verordnet werden? Welche der zahlreichen Gesichtspunkte können bei einer Entscheidung im Namen des Kindeswohls bedeutsam sein? Schwierigkeiten ergeben sich neben der unendlichen Fülle an zu betrachtenden Risiko- und Schutzfaktoren daraus, dass es sich um eine Risikoabschätzung für einen in der Zukunft liegenden etwaigen Zwangsumgang handelt. Letztlich geht es um die Frage, ob die betroffenen Kinder auch nach einer noch so gewissenhaften Prognose des Gerichts in die Zwangsumgangssituation geschickt werden dürfen oder ob auf diese Weise ein unüberschaubares Risiko für das Kindeswohl entsteht.
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Einleitung
Teil 1: Grundlagen
I. Zum Begriff von Sorge- und Umgangsrecht
II. Die Kindschaftsrechtsreform
1. Das Gesetzgebungsverfahren
2. Umgangsrecht und Umgangspflicht nach altem und neuem Recht
3. Gleichstellung der Kinder durch Wegfall des Kriteriums der Ehe der Eltern im Umgangsrecht und Verfahrensrecht
4. Elternstatus und Umgangsrecht des nicht mit der Mutter verheirateten Vaters
5. Umgangsrecht im Verhältnis zur elterlichen Sorge
III. Recht und Pflicht zum Umgang
IV. Inhalt, Umfang und Ziele des Umgangs
Teil 2: Die Rechtsprechung zum Umgang unter Zwang
I. Fall des Kindes Frank
1. Der Beschluss des AG Brandenburg
2. Die Beschlüsse des OLG Brandenburg
a) Beschluss vom 08.03.2001
b) Beschluss vom 15.11.2001
c) Beschluss vom 06.12.2001
d) Beschluss vom 24.01.2002
3. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
a) Entscheidung vom 30.01.2002
b) Entscheidung vom 20.05.2003
4. Der Beschluss des OLG Brandenburg vom 21.01.2004
5. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
II. Fall der Kinder Peter und Silke
1. Sachverhalt
2. Beschluss des AG Münden vom 07.03.2000
III. Fall des Kindes Felix
1. Der Beschluss des AG Verden
2. Der Beschluss des OLG Celle
IV. Fall des Kindes Birgit
1. Der Beschluss des AG Neustadt an der Aisch
2. Der Beschluss des OLG Nürnberg
V. Fall der Kinder Johannes und David
1. Der Beschluss des AG Siegburg
2. Der Beschluss des OLG Köln
3. Der Vergleich vor dem AG Siegburg
VI. Fall der Kinder Max und Anna
1. Der Beschluss des AG Eschweiler
2. Der Beschluss des OLG Köln
VII. Fall des Kindes Ansgar
1. Der Beschluss des AG Tuttlingen
2. Der Beschluss des OLG Stuttgart
VIII. Abschließender Vergleich und Diskussion der Gerichtsentscheidungen
Teil 3: Die Titulierung des Zwangsumgangs
I. Die Titulierungsfähigkeit
1. Ausgangspunkt: Der Anspruch des Kindes auf Umgang
2. Die Titulierung
a) Der Meinungsstand
b) Stellungnahme
II. Das Titulierungsverfahren
1. Zwangsumgangsrecht als Familiensache
2. Verfahrenseinleitung
3. Gerichtliche Regelung des Zwangsumgangs
a) Zeitliche Komponente
b) Anhörung
c) Abänderung nach § 1696 Abs. 1
4. Die Vertretung des Kindes
a) Vertretungsberechtigte Personen
b) Voraussetzung für die Beiordnung eines Pflegers
5. Rechtsmittel gegen die Zwangsumgangsentscheidung
Teil 4: Die Vollstreckung der gerichtlichen Zwangsumgangsregelung
I. Die Vollstreckungsfähigkeit
1. Argumente für die grundsätzliche Vollstreckbarkeit eines Titels nach § 1684 Abs. 1
a) Gesetzeswortlaut des § 1684 Abs. 1
b) Vollstreckbarkeit von Rechten und Pflichten
c) Verankerung des Umgangsrechts in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG
d) Verankerung des Umgangsrechts in Art. 6 Abs. 1 GG
e) Grundrecht des Kindes auf Wahrung des staatlichen Wächteramtes aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG
f) Das Persönlichkeitsrecht des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art. 1 Abs. 1 GG
g) Gesetzgebungsverfahren der Kindschaftsrechtsreform
h) Art. 9 UN-Kinderrechtskonvention
i) Das Kindeswohl
j) Möglichkeit des Sinneswandels des Umgangsunwilligen und Signalwirkung
2. Argumente gegen die grundsätzliche Vollstreckbarkeit eines Titels nach § 1684 Abs. 1
a) Generell abstrakte Erwägungen
aa) Sinn des Umgangsrechts wird in sein Gegenteil verkehrt
bb) Sinn und Zweck des Zwangsgeldes werden verfehlt
cc) Zwang und elterliche Sorge
dd) Vergleich mit der Annahme als Kind
ee) Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG
ff) § 888 Abs. 3 ZPO
b) Entgegenstehende Rechte des Umgangsverpflichteten
aa) Art. 1 GG
bb) Art. 2 Abs. 1 GG
cc) Art. 2 Abs. 2 GG
dd) Art. 3 GG
ee) Art. 6 Abs. 1 GG
ff) Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG
gg) Weitere Argumente
3. Stellungnahme
II. Die Vollstreckung im Falle der Umgangsverweigerung im Einzelnen
1. Rechtsgrundlage für die Zwangsumgangs-Vollstreckung
2. Zwangsmittel gegen den Umgangsunwilligen
3. Zwangsgeld als Zwangsmittel
a) Vollzugsfähige gerichtliche Zwangsumgangsentscheidung
b) Androhung gegen den Umgangsunwilligen
c) Festsetzung gegen den Umgangsunwilligen
aa) Schuldlose Nichterfüllung bei Umgangsunwilligkeit
bb) Zweckerreichbarkeit bei Umgangsunwilligkeit
d) Rechtsmittel im Zwangsumgangs-Vollstreckungsverfahren
e) Vollstreckung
4. Das Vermittlungsverfahren nach § 52 a FGG
a) Allgemein
b) Das Vermittlungsverfahren im Zwangsumgangsverfahren
c) Zielerreichung auf anderem Wege
5. Prüfungsumfang im Zwangsumgangsvollstreckungsverfahren
Teil 5: Der erzwungene Umgang und das Kindeswohl
I. Kindeswohlgefährdung durch Zwangsumgang
1. Der Gedanke des § 1626 Abs. 3
2. Die Perspektive des Familiengerichts
a) Abwägungsaspekte
b) Abwägungsmaßstab
II. Beziehungen und Bindungen zwischen den Beteiligten des Umgangsverfahrens
1. Begriffsklärung von Beziehung und Bindung
2. Bindungsqualität
3. Aufenthaltselternteil – Kind
4. Umgangselternteil – Kind
5. Die geschiedenen oder nicht miteinander verheirateten Eltern
6. Zwischenergebnis
III. Die Bedeutung des Umgangs mit beiden Elternteilen für die Entwicklung des Kindes
1. Kontakt zwischen Umgangselternteil und Kind
2. Braucht das Kind seinen Umgangselternteil für eine gedeihliche Entwicklung und welche Folgen hat dessen Fehlen?
a) Folgen der Vaterabwesenheit
b) Der Umgangselternteil als Kriterium für eine gedeihliche Entwicklung des Kindes
c) Diskussion
d) Zwischenergebnis
IV. Die Umgangsunwilligkeit des Umgangsverpflichteten
1. Erklärungsmodelle für die Umgangsunwilligkeit
2. Reaktionsmöglichkeiten auf eine Zwangsumgangsanordnung
3. Die Umgangseignung im Fall der Umgangsunwilligkeit
a) Die Umgangseignung des Umgangselternteils
b) Umgangseignung des Zwangsumgangselternteils
c) Diskussion
4. Überwindung der Umgangsunwilligkeit
5. Umgangsverzicht im Falle der Umgangsunwilligkeit
6. Verwirkung im Falle der Umgangsunwilligkeit
V. Die Zwangssituation
1. Modalitäten des Zwangsumgangs
a) Der begleitete Umgang
aa) Der mitwirkungsbereite Dritte
bb) Freiwilligkeit
cc) Gründe für den begleiteten Umgang
dd) Umgangsunwilligkeit als Grund für einen begleiteten
Umgang?
ee) Zwischenergebnis
b) Umgangsberatung
aa) Beratung des Kindes
bb) Beratung des umgangsunwilligen Elternteils
2. Ziel des begleiteten Umgangs bzw. des Zwangsumgangs
a) Zu befürchtende Schäden beim Kind im Rahmen eines begleiteten Umgangs über einen längeren Zeitraum
b) Begleiteter Umgang über einen längeren Zeitraum ohne zu befürchtende Schäden beim Kind
VI. Die Reaktion des Kindes beeinflussende Faktoren
1. Die kindliche Wahrnehmung
2. Bindungsverhalten
3.Temperament
4. Persönlichkeit
5. Resilienz
6. Alter des Kindes und Entwicklungsstand
7. Mögliche Vorschäden durch vorangegangene Ereignisse
a) Studien zu Scheidungsfolgen
aa) Scheidungsfolgenstudie von Napp-Peters
bb) Scheidungsfolgenforschung von Figdor
cc) Kölner Langzeitstudie
dd) Scheidungsfolgenstudie von Huss und Lehmkuhl
ee) Reanalyse der Rostocker Längsschnittstudie
b) Unmittelbare Scheidungsfolgen
c) Mittelfristige Scheidungsfolgen
d) Langzeitfolgen der Scheidung
e) Positive Scheidungsfolgen
f) Zwischenergebnis
8. Zwischenergebnis
VII. Folgen des Umgangs unter Zwang für die Entwicklung des Kindes
1. Risiko- und Schutzfaktoren
a) Verfügbarkeit und Unterstützung durch beide Eltern
aa) Das Verhältnis der Eltern zueinander
bb) Das Verhältnis von Aufenthaltselternteil und Kind
cc) Das Verhältnis von Umgangselternteil und Kind
dd) Zwischenergebnis
b) Vaterersatz
c) Bezugsperson
d) Gesellschaft
e) Kindesspezifische Risiko- und Schutzfaktoren
aa) Scheidungsfolgen
bb) Bewältigungsstrategien
f) Tabelle der Risiko- und Schutzfaktoren
2. Die Reaktionen der Betroffenen in der Zwangssituation
a) Reaktionsvarianten des Umgangspflichtigen
b) Reaktionsvarianten des Kindes
c) Zwischenergebnis
3. Die Entwicklung des Kindes
a) Sicherheit und Geborgenheit
b) Liebe und Zuwendung
c) Verlässlichkeit und Kontinuität
d) Akzeptanz und Wertschätzung
e) Verlässlicher Schutz vor Bedrohung und Gewalt
f) Vermittlung sozialer Normen und Werte
g) Gute und glaubwürdige Vorbilder
h) Zwischenergebnis
4. Die Bindung zwischen Umgangselternteil und Kind
5. Die Bindungsorganisation
6. Urvertrauen
7. Seelische Misshandlungen
8. Traumatisierung des Kindes
9. Selbstwertgefühl
10. Die Folgen von Double-bind-Botschaften
11. Verhaltensveränderungen beim Kind
a) Psychosomatische Störungen
b) Psychische Störungen
c) Persönlichkeitsstörungen
12. Zwischenergebnis
VIII. Einschränkung bzw. Ausschluss des Umgangsrechts
1. § 1684 Abs. 4 S. 1, S. 2
2. Diskussion
3. Zwischenergebnis
4. Provozierter Umgangsabbruch
a) Verhaltensweisen des Umgangselternteils ohne direkte Beeinflussung des Kindes
b) Verhaltensweisen des Umgangselternteils, wobei er seelische oder körperliche Schädigungen des Kindes in Kauf nimmt
c) Diskussion
IX. Fazit
1. Vorschlag zur Änderung des § 1684 BGB und des § 33 FGG
2. Ausblick
Zusammenfassung
Anhang
I. Relevante Vorschriften
II. Tabelle der abgehandelten Gerichtsentscheidungen
Die vorliegende Arbeit von Alexandra Altrogge widmet sich einem Thema von besonderer Aktualität und rechtspolitischer Brisanz. Und um es vorwegzunehmen: sie leistet einen überaus wichtigen Beitrag zur Aufbereitung der wissenschaftlichen Grundlagen einer sachlichen Diskussion und zur vernünftigen – d.h. kindgerechten – praktischen Handhabung des Problems von Umgang unter Zwang.
Umgangsrechte oder „Besuchskontakte“ gehören seit jeher zu den besonders schwierigen Problemen der familienrechtlichen Praxis, und sie sind im Konfliktfall selten zu allseitiger Zufriedenheit zu regeln. Auch entwicklungspsychologische Erkenntnisse und Ergebnisse von Umgangsstudien können daran wenig ändern. Sie können aber dazu beitragen, Möglichkeiten und Grenzen der Konfliktregelung realistisch einzuschätzen und unnötig belastende Irrwege zu vermeiden. Erstaunlich genug, dass die deutsche Forschung sich der Umgangsproblematik erst in jüngerer Zeit explizit anzunehmen beginnt! Weniger erstaunlich ist es wohl, dass die vorliegenden internationalen Ergebnisse nur sehr zögerlich zur Kenntnis genommen werden, stehen sie doch in scharfem Kontrast zum Regelungsoptimismus, der in den letzten Jahren so manchen Richter, Sozialarbeiter und Familienberater, aber auch den deutschen Gesetzgeber zu beflügeln scheint.
Zunächst gilt es wohl, sich bewusst zu machen, dass Umgangskontakte zwischen Kindern und Eltern, die nicht mehr zusammenleben, grundsätzlich eine menschlich sehr schwierige Aufgabe darstellen, gleichgültig ob es sich um Scheidungs- oder Pflegekinder handelt. Vorausgegangen ist immer eine Trennung, die mit Trauer, oft mit Bitterkeit und mit Verunsicherung einhergeht. Das Leben findet in getrennten, u.U. sehr verschiedenen Alltagswelten statt. Gefühle verändern sich, die Lebenswelten entfremden sich, die Suche nach neuen Sicherheiten, neuen haltgebenden Bindungen beginnt und fordert Raum, Zeit und Energie. In jeder Biographie werden dabei unterschiedliche Erfahrungen früherer Verluste und Ängste angerührt und müssen neu verarbeitet werden. Das alles gilt für die beteiligten Erwachsenen ebenso wie für die Kinder, trifft aber Kinder nachhaltiger, weil ihre psychische Entwicklung noch ungesicherter und auf Sicherheit in Beziehungen essentiell angewiesen ist.
Wenn es den Erwachsenen gelingt, diese Probleme so zu bewältigen, dass die Trennung für das Kind wenn schon nicht begreifbar, so doch durch ein Mindestmaß an elterlichem Konsens erträglich wird, dann sind Umgangskontakte nicht nur wünschenswert, sondern können eine große Hilfe für alle Beteiligten sein, gerade auch für das Kind, das mit Trennung und veränderter Alltagswelt leben lernen muss. Zum Glück scheint dies in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle zumindest so weit zu gelingen, dass es nicht zu gerichtlichen Auseinandersetzungen kommt. Wenn es aber nicht gelingt – aus welchen Gründen auch immer – wenn unüberbrückbare Spannungen, Konflikte und Ängste der Erwachsenen oder traumatische Gewalterfahrungen des Kindes die Kontakte zu einer fortdauernden Quelle von Verunsicherung, Leid oder sogar Angst machen, dann werden sie zu einer schweren Belastung für die Erwachsenen – nicht nur für die mit dem Kind zusammenlebenden, sondern regelmäßig auch für die umgangsberechtigten – und zu einer bedrohlichen Gefahr für die psychische Entwicklung des Kindes. Längst ist aus vielfältiger Forschung bekannt, dass andauernde tiefgreifende Elternkonflikte (in und außerhalb der Ehe) zu den wichtigsten Risikofaktoren für die kindliche Entwicklung gehören.
Gesetzliche Verpflichtungen, gerichtliche Anordnungen und Sanktionen können hier wenig helfen. Gerichte und Jugendämter können zu Kontaktversuchen ermutigen, Gelegenheiten eröffnen, Beratungsangebote vermitteln, was heute auch durchweg geschieht. Direkt oder indirekt erzwungene Besuche dagegen erfüllen die in sie gesetzten Hoffnungen selten, schaden aber oft. Das hat die internationale Scheidungsfolgenforschung eindrucksvoll gezeigt (Kostka 2004). Bis ins Erwachsenenleben wirken sich bei den Kindern fortgesetzte Loyalitätskonflikte und Ohnmachtsgefühle bei erzwungenen Kontakten aus, nicht zuletzt beim Aufbau eigener Partnerschaftsbeziehungen.
Gesetzgebung und Rechtsprechung haben nun seit einiger Zeit versucht, diese Probleme dadurch zu vermeiden, dass der Umgang zu einem „Recht des Kindes“ erklärt wurde – ohne „Pflicht“ und „Zwang“ – und stattdessen die Erwachsenen immer stärker in die Pflicht genommen wurden.
Gedacht war dabei zunächst an Mütter, die ohne gerichtlich nachvollziehbaren Grund den Umgang des bei ihnen lebenden Kindes mit dem geschiedenen Vater verhindern. Sie werden nicht nur gerichtlich und außergerichtlich beraten, sondern auch mit Zwangsgeld, Zwangshaft und Androhung von Sorgerechtsentzug unter Druck gesetzt, den sie erwartungsgemäß auch an die umgangsunwilligen Kinder weitergeben. Inzwischen geht es aber auch um Sanktionen gegenüber Vätern, die aus gerichtlich nicht akzeptablen Gründen den Umgang mit ihrem – ehelichen oder nichtehelichen – Kind verweigern. Ein solcher Fall, wie er jetzt dem Bundesverfassungsgericht vorliegt, war von den Befürwortern konsequenter Umgangsdurchsetzung kaum bedacht worden.
Und nun – endlich – zögern die Gerichte, setzt Nachdenklichkeit ein. Denn überdeutlich wird hier schließlich, dass sich längst im Namen des Kindeswohls ein verfassungsrechtlich hochproblematischer staatlicher Interventionsanspruch entwickelt hat, der sich nicht auf Gefahrabwendung beschränkt, sondern vom Glauben an die Erzwingung höchstpersönlicher Beziehungen beseelt ist, einem Glauben, der etwa im Eherecht seit langem aufgegeben worden ist, freilich erst nach einem schwierigen Lernprozess für Justitia.
Längst ist auch erkennbar, dass unter dem gesetzlich wohlgemeinten Ziel-Etikett des Kindeswohls zunehmend Elternkämpfe inszeniert werden, die das Kind völlig vergessen lassen. Der gesetzlich verbotene Zwang gegen das Kind etwa wird in der gerichtlichen Praxis leicht umgangen, wenn der Wille eines Kindes, das den Umgang verweigert, durchweg als beeinflusst (das ist er natürlich immer auch) und deshalb für unbeachtlich erklärt wird. Wenn dann die wirkliche oder vermeintliche Einflussnahme der Mutter zur Kindeswohlgefährdung erklärt wird, ist der Weg frei für jegliche Gewaltanwendung auch gegen die Kinder. So geschehen z.B. in Frankfurt, wo physisch und psychisch von der Mutter bestens versorgte Zwillinge im Polizeigriff aus der Schule geholt und auf unbestimmte Zeit (im Ergebnis 10 Monate) in ein Kinderheim verbracht wurden, um Kontakt mit dem aus den USA anreisenden Vater zu haben, den die Mutter aufgrund von nicht mehr aufklärbaren Vorwürfen ablehnte. Unnötig zu sagen, dass die Kinder anschließend den Vater schon gar nicht mehr sehen wollten.
In dieser rechtspolitischen Situation kommt die Arbeit von Alexandra Altrogge gerade recht, die die Frage nach dem Kindeswohl im Kontext erzwungenen Umgangs dezidiert in den Mittelpunkt rückt – am aktuellen Beispiel des umgangsunwilligen Vaters. Es handelt sich um eine äußerst anregende und materialreiche Arbeit. Ein besonderes Verdienst liegt in der Bereitschaft der Verfasserin, sich auf eine sorgfältige Auswertung der hochkomplexen Aussagen human- und sozialwissenschaftlicher Forschung einzulassen, auch wenn nicht alle Fragen im Rahmen einer solchen Arbeit abschließend diskutiert und beantwortet werden können, vielmehr an verschiedenen Stellen sich weitere Fragen eröffnen. Gegenüber einer rechtspolitischen Diskussion, die weithin die Forschung nur als Steinbruch benutzt, aus dem beliebig Ergebnisse selektiv herangezogen oder beiseite gelassen werden – je nach Opportunität, ist dies ein besonders wertvoller Beitrag zur Versachlichung.
Didaktisch sinnvoll setzt die Verfasserin immer wieder bei den gesetzlichen oder in der Rechtsprechung geläufigen Vermutungen an, wonach der Umgang „grundsätzlich“ dem Kindeswohl dient, um dann in allen Facetten unterschiedlicher Fallgestaltungen den Realitätsgehalt bzw. die Reichweite dieser Annahmen zu überprüfen. Dabei fällt die Bilanz wieder und wieder ernüchternd aus: „Durch den Zwangsumgang allein kann keine bindungsfördernde Kooperation erreicht werden. Dazu ist vielmehr ein selbständiger innerer Prozess erforderlich (S. 197). Kommt es zu einem Zwangsumgang, so kann der Umgangsunwillige zwar zum Umgangstreffen gezwungen werden, jedoch nicht zu einer darüber hinausgehenden Kooperation….Liebe kann ebenso wenig gesetzlich oder gerichtlich verordnet werden wie die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen“ (S. 198).
Der Leser reibt sich die Augen: ist diese Erkenntnis nicht dem psychologischen Alltagswissen zuzurechnen? Und ist sie nicht in anderen Bereichen des Familienrechts längst Ausgangspunkt und fest etablierte Grundlage gesetzlicher Regelungen? Gäbe es sonst seit 1977 die Ehescheidung auf Antrag des (aus gerichtlich akzeptablen oder nicht akzeptablen Gründen) trennungswilligen Ehegatten auch gegen den Willen eines weiterhin liebesbereiten, an der Ehe festhaltenden Partners? Und gäbe es den Entzug des elterlichen Sorgerechts (und der elterlichen Sorgepflichten), wenn elterliche Verantwortung und liebevolle Eltern-Kind-Beziehungen erzwungen werden könnten? Dennoch: für den Bereich der Umgangspraxis muss eben dies offenbar neu begriffen werden. Zu Recht tritt Frau Altrogge mit einer solchen banal klingenden Feststellung den in ihrer Arbeit immer wieder zitierten anders lautenden Wunschträumen unmissverständlich entgegen.
Schließlich folgert die Verfasserin: „Ein angeordneter und gegen den Umgangsunwilligen vollstreckter Zwangsumgang wird für das betreffende Kind in der Regel eine seelische Dauerbelastung darstellen, die es regelmäßig nicht ohne den Preis psychischer Belastungen geben kann (S. 202). In Anbetracht der schwerwiegenden Folgen, die eintreten können, darf ein Kind allein bei der Möglichkeit drohender Schäden der Zwangssituation nicht ausgesetzt werden“ (S. 203). Das ist gewissermaßen die Quintessenz dieser Arbeit, die überzeugend nachweist, dass weder der Gesetzgeber noch die Gerichte auf die Berücksichtigung außerjuristischen, kinderpsychologischen Wissens verzichten können. Zugleich zeigt die Arbeit, wie schwierig dies ist. Sozialwissenschaftliche Forschung ist nicht auf juristische Fragestellungen zugeschnitten, d.h. ihre Ergebnisse müssen verlässlich erschlossen und in ihren Konsequenzen für Entscheidungssituationen des Gesetzgebers und der Gerichte fachkundig aufbereitet werden – wenn es denn um die Wahrheitsfindung zum Wohl des Kindes gehen soll.
Frankfurt/Main, im Juli 2007, Prof. Dr. Dr. h.c. Gisela Zenz
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(Richterin am AG Yvonne Gottschalk in FPR 2008, 163)